15.05.2012
Gentechnisch veränderter Weizen Das Korn des Anstoßes
Von Nina Weber
n Großbritannien läuft ein Freilandversuch mit gentechnisch verändertem Weizen. Eine Protestgruppe hat angekündigt, das Feld zu zerstören, das Datum ist schon bekannt. Die Wissenschaftler bitten um ein offenes Gespräch. Der Fall zeigt das Dilemma der Pflanzen-Gentechnik in Europa.
Am 27. Mai soll Schluss sein mit dem Feldexperiment. Jedenfalls, wenn es nach dem Willen der Gruppe „Take the Flour back“ geht. Die Aktivisten protestieren gegen einen Versuch von Rothamsted Research, einer Forschungseinrichtung nördlich von London. Sie haben angedroht, dort einen Freilandversuch zu zerstören.
Die Rothamsted-Wissenschaftler haben acht je sechs mal sechs Meter große Felder mit gentechnisch verändertem Weizen bepflanzt. Das Getreide produziert einen Duftstoff, der Blattläuse vertreibt. So könnten künftig Insektenschutzmittel gespart werden, falls das Konzept aufgeht, meinen die Forscher. „Wir wollen eine nachhaltige Landwirtschaft fördern“, sagt Gudbjorg Inga Aradottir, die am Projekt beteiligt ist. „Die Insekten werden nur vertrieben, nicht getötet.“ Die Substanz produzieren Hunderte verschiedener Pflanzen. „Es ist eine absolut ungiftige Angelegenheit.“
Die Protestgruppe sieht das anders. Gentechnik hätte bisher nie dazu geführt, dass weniger Pestizide eingesetzt werden. Es sei sogar zu befürchten, dass man am Ende mehr Pflanzenschutzmittel denn je benötige. Sie meinen, die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt seien nicht abzuschätzen. Einige ihrer Argumente:
- Es drohe eine Auskreuzung des Weizens mit Pflanzen jenseits des Versuchsfelds und bei einer späteren Markteinführung eine Vermischung von gentechnisch verändertem und konventionellem Getreide.
- Tatsächlich ist – als Marker – ein Gen für eine Antibiotikaresistenz in den Weizen eingebaut. Es könnte im Freiland auf Bodenbakterien übertragen werden, so die Befürchtung.
- Landwirten würden wirtschaftliche Schäden drohen, wenn ihr Getreide mit gentechnisch verändertem Weizen verunreinigt werde, denn die Verbraucher wollen kein Gen-Food.
Kurzum: Die Mehrheit sei gegen gentechnisch veränderte Pflanzen. Und daher sei der Versuch, der ohnehin ein Problem lösen wolle, das gar nicht existiert (da die Weizenerträge in Großbritannien in Ordnung seien), nichts als eine Gefahr. Bevor die Pollen des gentechnisch veränderten Getreides ausfliegen könnten, wollen die Aktivisten daher nicht nur protestieren, sondern in letzter Konsequenz das Feld zerstören.
Feindbild Monsanto
Es stimmt, dass gerade in Europa gentechnisch veränderte Pflanzen von vielen Verbrauchern abgelehnt werden. Vorteile für den Verbraucher sind erst einmal nicht erkennbar – wer merkt schon, ob der Landwirt mehr oder weniger Pestizide versprüht? Dazu kommt das Auftreten des Großkonzerns Monsanto, das den gesamten Forschungszweig überschattet.
Eine Auswirkung zeigte sich vor kurzem: BASF verlagerte seine Forschung zur Pflanzen-Biotechnologie von Deutschland in die USA – weil die Akzeptanz in weiten Teilen Europas fehle.
Die Stimmung spiegelt sich beim aktuellen Vorfall in Großbritannien wider: Denn im Grunde ist es kurios, dass die Gegner des Versuchs anmahnen, der gentechnisch veränderte Weizen sei nicht gut genug erforscht – und dann ein Experiment zerstören wollen, mit dem eben genau dies geändert werden soll. Unterm Strich scheint es den Aktivisten weniger um die bessere Erforschung des Weizens zu gehen, vielmehr sehen sie den Freilandversuch als eine Art Büchse der Pandora. Und ist die erst einmal geöffnet, ist alles zu spät.
Zumindest ein Feindbild der Gentechnikgegner scheint Rothamsted dabei so gar nicht zu bedienen: Es handelt sich nicht um einen Großkonzern, sondern um eine öffentliche Einrichtung. „Wir werden von der Öffentlichkeit finanziert. Wir machen das nicht, um später an einem Patent zu verdienen“, sagt Aradottir. Aber das will Take the Flour back nicht glauben.
Die beteiligten Forscher reagierten auf die Ankündigung – mit Briefen an die Aktivisten und einem Video. Sie schlagen darin ein Gespräch vor. Und bitten, ihre Forschung nicht zu zerstören. Inzwischen gibt es auch eine Online-Petition mit mehreren tausend Unterzeichnern.
Warten auf den 27. Mai
Aradottir weist darauf hin, dass das Versuchsergebnis offen ist. Die Forscher hoffen, dass der Weizen im Testfeld den gewünschten Effekt zeigt, der in früheren Laborexperimenten auftrat, sowie nützliche Insekten wie Marienkäfer nicht beeinträchtigt. Doch das ist nicht garantiert. Deshalb muss das Experiment weiterlaufen.
Die Umwelt sei durch das Experiment keineswegs in Gefahr. Ein Sicherheitsbereich um den Weizen hält die Pollen auf. Auskreuzung unter diesen Bedingungen nicht möglich, versichert sie. Auch andere Befürchtungen könnten die Forscher ausräumen, sagt sie. Aradottir hofft, dass sich die Gruppe von ihrer Aktion abbringen lässt.
Doch es scheint eher – nach einem weiteren Briefwechsel – die Ruhe vor dem Sturm eingekehrt zu sein.
In einer Mail bestätigt Take the Flour back: „Wenn der Feldversuch mit gentechnisch verändertem Weizen nicht sofort eingestellt wird, wird der Aktionstag am 27. Mai stattfinden.“ Ob die Forscher irgendwelche Argumente vorbringen könnten, die sie vom Gegenteil überzeugen? Fehlanzeige.
http://www.rostock-heute.de/universitaet-rostock-gentechnik-kritik-joerg-bergstedt/45108